Die SPD und der Freihandel – Ein Pakt mit dem Teufel ?

Ein Blogartikel von Christoph Öttking, stellv. Regionalvorsitzender der JusosOWL und kooptiertes Mitglied im Juso-Vorstand Minden-Lübbecke zu den Plänen zu einen neuen Freihandelsabkommen:

Die jüngsten Bestrebungen, auf Basis einer sogenannten „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) eine riesige Freihandelszone aus den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu bilden, rieben sich in den letzten Tagen lediglich an der Frage auf, ob der Handel mit Kulturgütern von der Liberalisierung ausgenommen werden sollte, wie es vor allem Frankreich gefordert hatte oder nicht. Aus Deutschland waren an dem Gesamtvorhaben bislang aber nur wenige kritische Stimmen zu vernehmen.

Selbst bis weit in die SPD hinein, die ihren Liberalisierungseifer der 1990er und frühen 2000er mittlerweile kritisch aufzuarbeiten versucht, gab es kaum Kritik an den Plänen.

Verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die breite Allianz aus Arbeitgebernverbänden, FDP und CDU/CSU zumindest Stirnrunzeln auslösen sollte.

Zwar erscheinen die Argumente für eine Freihandelszone auf den ersten Blick einleuchtend. Eine grundsätzlich positive Tendenz ist die Angleichung von Normen und Standards, zum Beispiel für Stecker und Gewinde. Zudem werden zwischen den USA und der EU jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von über 600 Mrd. Dollar gehandelt, wobei durchschnittlich 4 bis 7 % des Gesamtwertes der gehandelten Waren als Zölle erhoben werden. Ein Abbau der Zölle auf null entspräche einer geschätzten Kostenersparnis von mehr als 20 Mrd. Dollar[1].  Die ohnehin stark exportorientiert ausgerichtete Wirtschaftsstruktur in Deutschland könnte in der kurzen Frist von der wieder anziehenden Konjunktur in den USA profitieren. Auf der anderen Seite des Atlantiks würden sich vor allem Fahrzeug- und Maschinenbauprodukte aus Deutschland im Vergleich zur ebenfalls in diesem Segment stark positionierten Konkurrenz aus Japan und Südkorea verbilligen. Durch die erhöhte Nachfrage aus den USA würden somit in der Tat hierzulande Arbeitsplätze geschaffen werden.

Mittel- bis langfristig birgt die Errichtung einer völlig deregulierten Freihandelszone allerdings große Risiken. Der traditionell niedrige Stellenwert, den der Wohlfahrtstaat in den Vereinigten Staaten genießt, könnte dazu führen, dass eine zukünftige US-Regierung versucht, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft gegenüber der europäischen zu verbessern, indem die Abgabenlast der Industrie gesenkt wird. Etwaige Einnahmeausfälle durch die Steuersenkungen würden dort durch weitere Kürzungen im Sozialstaat kompensiert werden. Als Folge könnte sich in der EU ein Diskurs über die fallende Wettbewerbsfähigkeit des alten Kontinents lostreten, der von arbeitgebernahen Kräften getragen, die politische Legitimation für weitere Sozialabgabensenkungen und Reallohneinbußen in der EU schüfe. Statt mehr Handelsvolumen ergäbe sich möglicherweise eine Abwärtspirale von Löhnen und Steuern zwischen den beiden wichtigsten Wirtschaftsräumen der Welt und langfristig auf beiden Seiten ein fallender Binnenkonsum. Zudem könnten auch andere Industrieländer, wie Japan oder Südkorea künftig in die Freihandelszone integriert werden, was den Konkurrenzdruck verschärfen würde.

Man möge einer SPD, die sich öffentlich gegen den freien Handel zwischen der EU und den USA positioniert, vor dem Hintergrund Doppelzüngigkeit vorwerfen, dass die Sozialdemokratie sich in Europa stets für mehr Integration und damit auch für den freien Handel einsetzt. Allerdings ist bei genauerer Betrachtung die geplante völlig deregulierte Freihandelszone im Rahmen des TTIP nicht vollständig mit der Grundkonzeption des freien Warenverkehrs in der Eurzone vergleichbar, die den Löwenteil des Handels innerhalb der Europäischen Union ausmacht.

In Europa ist der Euro eines der zentralen Integrationsinstrumente. Auch Länder, mit Ausnahme Großbritanniens und der skandinavischen Staaten, sollen, sobald sie denn die Grundvoraussetzungen erfüllen, die Gemeinschaftswährung einführen.

Sodann gelten in der Eurozone definierte Regeln, die in der Vergangenheit häufig verletzt wurden, was Effekte verursacht hat, die die Risiken einer Freihandelszone umso mehr verdeutlichen.

Das ursprüngliche Ziel des Euro war, den Handel zu vereinfachen, Wechselkursrisiken auszuschließen und zu verhindern, dass Staaten in der EU sich kurzfristig auf Kosten anderer Wettbewerbsvorteile verschaffen können. Letzteres wurde systemimmanent vor allem dadurch gewährleistet, dass eine Abwertung der eigenen Währung kein gangbares Mittel zur Steigerung der innereuropäischen Wettbewerbsfähigkeit mehr sein konnte. Zweitens sollte ein klar definiertes Inflationsziel von 2% das Auseinanderfallen des realen Preisniveaus und damit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Eurostaaten sichern. Dazu sei gesagt, dass einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Inflation, die Lohnentwicklung ist.

Problematischerweise übertrafen einige Staaten, wie Spanien, Griechenland und Irland die Zielmarke von 2% teils signifikant. Frankreich hielt sie ziemlich genau ein.

Deutschland hingegen verschaffte sich durch das deutliche Unterbieten der 2%, vor allem durch Lohnzurückhaltung und die Senkung von Sozialabgaben, eine bessere Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Die Folge waren deutliche Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber anderen europäischen Partnerländern, in denen die Binnennachfrage und auch Lohnstückkosten während des selben Zeitraums anzogen. Pikanterweise wird eben jene Beschneidung des Sozialstaates und die Lohnzurückhaltung, welche die Abkopplung der Produktivität Deutschlands im Verhältnis zum Außenwert seiner Währung verschärfte, von vielen heute als Erfolgsmodell bezeichnet.

Eine Freihandelszone bestehend Europa und den USA könnte für die EU ähnliche Konsequenzen haben, wie gegenwärtig die Konkurrenz der südeuropäischen Länder zu Deutschland. So kann die Eurozone seine Währung praktisch nicht beliebig abwerten, weil für den rohstoffarmen Kontinent Vorleistungen und Rohstoffe, die üblicherweise in US-Dollar gehandelt werden, sonst zu teuer würden. Für die USA, die durch neue Funde und Frackinggenehmigungen einen neuen Gasboom erleben könnte, ist die Abwertung leichter durchsetzbar, zumal sie schließlich Rohstoffe in eigener Währung handelt. Zur Steigerung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den Vereinigten Staaten bliebe also nach Ausschöpfung aller monetären Spielräume zur gezielten Schwächung des Euros, nur eine faktische innere Abwertung, durchgeführt mithilfe von weiterer Lohnzurückhaltung und der Senkung von Sozialabgaben. Derartige Zusammenhänge der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu ignorieren und dauerhaft auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit Europas als Argument für ein ohnehin stabiles Lohnniveau unter der Bedingungen einer Freihandelszone zu setzen, erscheinen angesichts der Innovationsfähigkeit der Vereinigten Staaten als voreilig und naiv.

Darüber sollte sich vor allem die SPD als Arbeitnehmerpartei im Klaren sein und nicht leichtfertig einen Pakt mit Teufel eingehen, bevor die Folgen einer Zollbefreiung besser abgeschätzt werden können und eine grundsätzliche Debatte innerhalb der Partei, aber auch mit den Gewerkschaften, geführt wurde.