Fridays for Future hat in den vergangenen Monaten richtig Druck auf die Straße gebracht. Dafür muss man den jungen Menschen dankbar sein. Es gibt aber ein Phänomen, das immer wieder vorkommt, wenn junge Menschen sich politisch engagieren: In den Reaktionen heißt es schnell „Ihr macht das ja so toll“, aber wirklich etwas verändern tut sich dann auch nicht. Wer also die Bewegung wirklich ernst nehmen will, muss auch ernsthaft antworten. Und das heißt, dass man erstmal auch Widerspruch äußern darf.
Für mich gibt es in dieser Klimadiskussion vor allem zwei Dinge, die mich stören:
- Es wird gerade an vielen Stellen so getan, als gäbe es eine objektive Wahrheit, die von der Politik umzusetzen sei. Man kennt diese Argumentationen vom TINA (there is no alternative) der Thatchers und Merkels in wirtschaftspolitischen Fragen. Jetzt sind es vor allem die jungen Menschen (die ja auch nie etwas anderes erlebt haben als die Technokratisierung der Demokratie unter Merkel), die fordern, dass die “Erkenntnisse der Wissenschaft†einfach umgesetzt werden sollen. Demokratie bedeutet aber immer einen Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Interessen und Ideologien. Wissenschaft kann Analysen und Vorschläge liefern, diese Aushandlungsprozesse aber nicht ersetzen.Denn natürlich gibt es auch in der Politik Dinge, die alternativlos sind: Wenn ein Problem da ist, muss es gelöst werden. Der Klimawandel stellt für die Politik einen Imperativ dar, den man nicht ignorieren kann. Lösungen eines Problems sind aber niemals alternativlos. Über diese Lösungen muss demokratisch gestritten werden. Die Entwicklungen in den USA und Großbritannien zeigen es doch: Gerade in den Regionen, die früher einmal eine starke Industrie hatten, in denen es aber heute für die Menschen kaum eine Perspektive gibt, haben Menschen für Trump und für den Brexit gestimmt haben. Dort haben die Menschen mit ihren Stimmen dagegen protestiert, dass ihre Perspektivlosigkeit nach den neoliberalen Gesetzen der freien Märkte alternativlos ist.Dieses TINA-Verständnis in der jetzigen Klima-Debatte führt dazu, dass die Frontlinie noch immer Für Klimaschutz / Gegen Klimaschutz ist – obwohl es keine demokratische Partei gibt, die sich gegen Klimaschutz ausspricht. Wir können doch den Herausforderungen nicht einfach mit Faktenchecks und moralischen Mahnungen an ein individuelles klimafreundlicheres Verhalten begegnen und dann darauf hoffen, dass endlich alle ihre individuellen Entscheidungen umstellen! Gerade die Sozialdemokratie muss ein grundsätzliches Verständnis davon entwickeln, was es heißt, die ökologische Frage mit der sozialen Frage zu verbinden.
- Die Konsequenz daraus, dass eine grundsätzliche Debatte über die Ausrichtung von Klimapolitik fehlt, ist eine hegemoniale Stellung von Verbots- und Regulationspolitik in der Debatte. Diese wird immer wieder von Rechten und manchmal von Liberalen angegriffen, aber erstaunlicherweise kaum von links kritisch hinterfragt. Und so wird diskutiert über Verbote von Inlandsflügen, Diesel-Fahrverbote, autofreie Sonntage und Tempolimits. Keine Frage, einzelne Maßnahmen davon können durchaus sinnvoll sein. Aber was wird eine Politik erreichen, die Klimapolitik einseitig als Verbotspolitik begreift?Und an dieser Stelle kommt die soziale Frage ins Spiel: Was wird passieren, wenn die Menschen von der Politik entweder moralisch ins Gewissen geredet oder sogar vorgeschrieben bekommen, dass sie nur noch vegan essen sollen und der Flug für den Urlaub einmal im Jahr auf Mallorca gestrichen wird? Wenn die Arbeitsplätze in der Industrie wegfallen, weil bestimme Bereiche der Industrie als zu umweltschädlich gelten? Wenn ganze Regionen wie die heutigen Braunkohle-Reviere einfach in die Perspektivlosigkeit geschickt werden? Warum sollte es da in Deutschland – gerade mit unseren Erfahrungen mit dem Erstarken der rechtsradikalen AfD – besser laufen als in den USA und in Großbritannien? Ich wünsche mir, dass die Sozialdemokratie ein eigenes Verständnis von Klimapolitik dem Verbots-Ansatz entgegenstellt: Klimaschutz in erster Linie als Umverteilung begreifen!Seit 1990 konnten die Treibhausgasemissionen um fast 30 Prozent gesenkt werden. Allein in der Chemie-Industrie hat sich der Ausstoß von Schadstoffen seit 1990 halbiert. Die Zahlen bleiben hinter den selbst gesteckten Zielen zurück und man kann und muss mehr machen. Aber die Zahlen zeigen auch, dass Nachhaltigkeit und Wachstum kein Widerspruch sein müssen. Wir müssen nicht zurück in die Höhle, wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen! Wir müssen stattdessen – und das ist Kern sozialdemokratischer Politik – auf demokratischem Wege die Wirtschaft so gestalten, dass das Prinzip des kurzfristigen größtmöglichen shareholder value durch soziales und nachhaltiges Wachstum ersetzt wird. Dafür reicht es nicht, an das individuelle Verhalten zu appellieren. Dafür muss die Politik sich wieder trauen mehr zu sein als ein Reparaturbetrieb und sich nicht mehr damit abzufinden, in welche Richtung sich der Kapitalismus entwickelt.Und das ist eine Frage der Umverteilung: Wir brauchen einen aktiven Staat, der in der Lage ist, über Investitionen zu gestalten. Also: Die Einführung einer Vermögenssteuer, eine Reform der Erbschaftssteuer und die Anhebung des Spitzensatzes bei der Einkommenssteuer, um damit soziale und nachhaltige Investitionen (z.B. Mobilität, Wohnungsbau, Bildung, Forschung, …) zu finanzieren. Eine strategische Industriepolitik, die mehr nachhaltige Innovation ermöglicht. Steuerpolitische Anreize schaffen zur Herstellung einer Kreislaufwirtschaft. Finanziell gut ausgestattete Kommunen und Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand. Gute Arbeit mit einer Stärkung von Tarifverträgen und betrieblicher Mitbestimmung. All das sind Wege, Klimapolitik nicht gegen soziale Fragen auszuspielen. Die erste Maßnahme wäre es, eine Initiative zu starten, um die Schuldenbremse wieder aus der Verfassung zu streichen und stattdessen auf langfristige Zukunftsinvestitionen zu setzen. Und wer sollte das tun, wenn nicht die Sozialdemokratie?
Zum Autor: Micha Heitkamp ist stellv. Vorsitzender der Mühlenkreis-SPD und Vorsitzender der JusosOWL