„Wenn es die SPD nicht gäbe, man müsste sie heute gründen“

Zum 150. Geburtstag der SPD ein Blogartikel von Micha Heitkamp, Vorsitzender der Mühlenkreis-Jusos

150 Jahre SPD! In den letzten Tagen waren die Leitartikel der großen Zeitungen voller Aussagen über die große Geschichte dieser Partei und den Verlust der sozialdemokratischen Identität. Früher habe man die Befreiung der Arbeiter, das Frauenwahlrecht, die Wiedervereinigung und Aufstiegschancen durch Bildung gehabt. Wofür bedarf es heute noch eines kollektiven sozialdemokratischen Gefühls?

Die klugen Kommentatoren haben recht, aber gleichzeitig auch unrecht. Ich glaube gerade heute bedarf es eines kollektiven sozialdemokratischen Gefühls. Ein marktradikales Denken hat in den vergangenen Jahrzehnten unaufhaltsam Einfluss in immer mehr Lebensbereiche genommen. Wir sind in einer Krise, die ausgelöst wurde durch die unkontrollierbaren Finanzmärkte. Eine Krise, die nur durch das Einschreiten der Staaten eingedämmt werden konnte. Und trotzdem geht die Entwicklung nicht zu mehr Staat und weniger Markt. Im Gegenteil, angeführt von der deutschen Kanzlerin sollen sich die Staaten durch drastische Sparkurse immer weiter zurücknehmen. Eine Kanzlerin, die eine marktkonforme Demokratie fordert. Die Befreiung von der Macht der freien Märkte, das muss das sozialdemokratische Thema der Gegenwart sein. Und es kann nur ein Thema der Sozialdemokratie sein. Welche andere Partei oder politische Richtung sollte es sonst tun? Oder mit den Worten Erhard Epplers: „Der Marktradikalismus ist in Gebiete eingedrungen, die wir uns nie hätten träumen lassen. Wenn es die SPD nicht gäbe, man müsste sie heute gründen.“

Die Frage ist nur, ob sich die Sozialdemokratie selbst darüber überhaupt bewusst ist. Mein Eindruck ist, dieser Partei fehlt manchmal der Mut in Visionen oder (im Sinne Oskar Negts, der von der „Fantasielosigkeit der Tatsachenmenschen“ spricht) in Utopien zu denken. Wir sind viel zu oft zu dem geworden, was Negt „Tatsachenmenschen“ nennt. Die Sozialdemokratie muss sich Gedanken machen, was sie unter dem Schlagwort „demokratischer Sozialismus“ versteht und gleichzeitig, wie man dieser Utopie politisch pragmatisch näher kommen kann. Und wenn es gelingt, diese Utopie als Alternative zur marktradikalen Bundesregierung an die Öffentlichkeit zu vermitteln, dann haben wir auch im September bei der Bundestagswahl eine gute Chance.

In diesem Sinne: Nur Mut, Genossinnen und Genossen, wir werden noch gebraucht!

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