Ein Einwurf von Micha Heitkamp
Zurück von der Auszählung des SPD-Mitgliederentscheids in Berlin habe ich jetzt ein bisschen Zeit und Ruhe mir Gedanken darüber zu machen, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll. Natürlich bin ich nicht glücklich über das Ergebnis. In den letzten Wochen habe ich mich klar gegen eine große Koalition positioniert. Und das aus guten Gründen, davon bin ich immer noch überzeugt. Ich will aber an dieser Stelle keinen Rundumschlag über die Vergangenheit machen, sondern nach der Zukunft unserer Partei fragen.
Fangen wir zunächst einmal mit dem guten an: 369 680 Mitglieder haben an dem Entscheid teilgenommen. Die Beteiligungsquote liegt bei 77,86% und ist damit größer als bei der letzten Bundestagswahl. Die SPD hat in einer schweren Entscheidung von wahrscheinlich historischem Ausmaß für das Weiterleben der Partei ein einmaliges Verfahren durchgeführt und die vielen guten Diskussionsveranstaltungen im Vorfeld und die hohe Beteiligung gibt der Idee recht. Weil ich nach der Auszählung in einem Berliner Kino noch den neuen Hobbit-Film gesehen habe, an diesem Punkt noch ein passendes Zitat, das Thorin Eichenschild seinen Freunden beim Erreichen des einsamen Berges zuruft: „Heute ist der Tag an dem wir alle, die an uns gezweifelt haben, eines besseren belehren!“ Besser kann man die hohe Beteiligung wohl nicht beschreiben.
Es wäre jetzt aber falsch, dieses Verfahren als einmaligen Akt darzustellen, der von der künftigen Regierungsarbeit losgelöst steht. 80 921 Mitglieder haben gegen den Gang in die große Koalition gestimmt. Dieses kritische Votum gilt es in die Regierung mit- und auch ernstzunehmen. Die Partei steht nämlich vor einer Zerreißprobe: Wenn die großen Volksparteien miteinander koalieren und die Opposition auf ein Minimum zusammenschrumpft, wird die SPD als kleiner Koalitionspartner in den nächsten Jahren Regierung und Opposition gleichzeitig sein. Die Partei braucht eine lebendige Diskussion, genau das was sie in den letzten Wochen gemacht hat. Und offene Kritik an der Regierung aus der SPD darf kein Tabu sein. Will man ernsthaft wieder zu linken Mehrheiten kommen, muss die SPD öffentlich als progressive und kritische Partei wahrgenommen werden. Und deshalb wird auch die Rolle der Jusos und der kritischen Basis in den nächsten Jahren keine leichte sein: Ein Doppelweg aus Solidarität der Partei und den sozialdemokratischen MinisterInnen gegenüber und gleichzeitig innerparteilicher Opposition gegen die Regierung. Dieser Doppelweg bringt die Partei in eine Zerreißprobe. Das kann gefährlich werden. Aber genau diese Zerreißprobe haben die 256 643 Mitglieder, die für den Eintritt in die Koalition gestimmt haben, gewählt.
Vielleicht liegt ja auch eine Chance in der Zerreißprobe. Aber nur, wenn die Partei nicht in alte Basta-Muster zurückfällt, sondern weiter lebendig diskutiert.