Die Situation der afghanischen Frauen

Zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban hat sich in Afghanistan einiges verändert. Während Selbstmordattentate, Anschläge gegen die Zivilbevölkerung und ausbleibende Demokratisierungsbemühungen die Schlagzeilen der Medien beherrschen, haben sich die Rechte der Frauen stetig verbessert. So räumt die neue Verfassung Frauen die gleichen Rechte wie Männern ein, Frauen haben verbesserten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und Frauen sind letztlich sogar im Parlament vertreten. Die prekäre wirtschaftliche Situation hat zudem dazu geführt, dass auch immer mehr Frauen arbeiten gehen, um ihre Familien zu versorgen.

Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine faktische Gleichberechtigung nicht gibt und das Frauen auch weiterhin mit massiven Problemen zu kämpfen haben. In den Regionen, die sich heute unter der Kontrolle der Taliban befinden, werden Frauen auch weiterhin unterdrückt und misshandelt. Ihnen wird weder ein Zugang zu Bildung, noch zu politischer und beruflicher Partizipation gewährt. Aber auch in anderen Teilen des Landes hat die juristische Gleichheit nur geringe Auswirkungen auf die Lebenssituation der Frauen. Insbesondere Alleinstehende haben kaum Rechte und bewegen sich am Rande der Gesellschaft. Mangelernährung und katastrophale hygienische Zustände führen dazu, dass die Lebenserwartung der Frauen in Afghanistan gerade mal 47 Jahre beträgt. Die Kindersterblichkeitsrate ist eine der höchsten der Welt. Die Gesundheitsvorsorge bei Kindern konnte inzwischen aber zumindest soweit verbessert werden, dass die meisten Kinder gegen die wichtigsten Krankheitserreger geimpft werden.

Derzeit steht jedoch zu befürchten, dass ein frühzeitiger Abzug der Truppen aus Afghanistan und eine Einbeziehung der Taliban in den Friedensprozess zu einer weiteren Verschlechterung der Situation der Frauen und Mädchen führt. Ein Blick auf die Lebensumstände von Frauen unter der Herrschaft der Taliban macht deutlich, dass politische Mitbestimmungsrechte der Taliban ein Verrat an den Werten wäre, für die der Westen vorgegeben hat, sich politisch zu engagieren. So war es Frauen verboten, Absatzschuhe zu tragen, die beim Gehen Geräusche verursachen. Männer durften ihre Schritte nicht hören. Frauen war es auch verboten, zu lachen, bunte Farben zu tragen und nicht verwandten Männern die Hand zu geben. Frauen hatten keinen Zugang zu Erwerbsarbeit und nur eingeschränkten Zugang zum Rechts- und Gesundheitssystem.

Das alles macht deutlich, dass der Westen, will er die Menschenrechte ernst nehmen, keine Versöhnungsstrategie zulasten der Frauen zulassen darf. Vielmehr muss die afghanische Zivilgesellschaft viel stärker bei den Planungen um die Zukunft ihres Landes mit einbezogen werden. Dazu gibt es, zusammen mit weiteren Aufklärungs- und Qualifizierungsangeboten, speziell für Frauen, keine Alternative, soweit verhindert werden soll, dass weitere Afghaninnen und Afghanen sich aus Enttäuschung fundamentalistischen Organisationen zuwenden.

Gastartikel von Christina Kampmann, stellv. Regionalvorsitzende und Leiterin des AK Internationales der JusosOWL