Nicht im Mittelalter hängen bleiben – Warum Homosexualität theologisch nichts schlechtes ist

Ein Einwurf von Micha Heitkamp, Vorsitzender der Jusos Minden-Lübbecke und Student der Politikwissenschaft und evangelische Theologie in Bielefeld

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„Das wird man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfen“ ist der schönste Satz, den jede politische Diskussion hervorbringen kann. Es ist der Verweis darauf, dass man gerade den Mut vorbringt eine unbequeme Wahrheit auszusprechen und damit ein Tabu bricht. Oder zumindest glaubt man es zu tun. Die alte Redensart der Rechtspopulisten zeigt sich zurzeit wieder in Bestform in der Diskussion über Homophobie. Ausgehend von einer Online-Petition in Baden-Württemberg versuchen gerade Konservative auf allen Kanälen ihr Weltbild in die Öffentlichkeit zu bringen. Vorneweg – wie könnte es auch anders sein – Matthias Matussek und hinterher eine ganze Reihe anderer Leute,  die in der aktuellen Diskussion eine gute Chance sehen für eine krude Meinung als Tabubrecher zu gelten.

Die Argumentationslinie versucht daher auch nicht sachlich zu begründen, warum Homosexualität etwas schlechtes sei, sondern aufzuzeigen, dass wer homophobe Meinungen als homophob bezeichne, die Meinungsfreiheit anderer Menschen einschränke. Dabei werden ein paar Grundannahmen getroffen, die Medien dann auch gerne weiter tragen. Eine dieser Grundannahmen, die in der Diskussion überraschenderweise kaum hinterfragt wird, ist: Das Christentum und die Kirchen sind gegen Homosexualität. Sicherlich gibt es nicht wenige konservative Christinnen und Christen, die sich dieser Position anschließen würden, eine Mehrheit des Christentums in Deutschland ist das aber nicht. Weil mich als Theologiestudent die einseitige mediale Wahrnehmung von konservativen ChristInnen stört, möchte ich das tun, was Matussek und Co nicht tun: Ich möchte mich sachlich mit einer theologischen Position zu Homosexualität auseinandersetzen.

Zunächst einmal muss ich dafür aber etwas klarstellen. Die Hauptkritik an einer theologischen Position, die sich gegen eine Gleichstellung von Homosexualität ausspricht, ist der Verweis darauf, dass sich Religion nicht in weltliche Dinge einmischen soll. Zwischen privatem Glaube und dem gesellschaftlichen Zusammenleben müsse getrennt werden, so die Kritik. Dem schließe ich mich ausdrücklich nicht an.

„Religion ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, definiert der Theologe Paul Tillich – übrigens einer der Vordenker des religiösen Sozialismus – die Religion. Es ist ein Verständnis von Religion, das kein blindes Vertrauen auf ein vom Diesseits unabhängigen Jenseits in den Vordergrund stellt. Es geht um die Dinge, die uns im Hier und Jetzt unbedingt angehen. Religion hat für die Menschen nur einen Wert, wenn sie auch im Kontext des Lebens der Menschen stattfindet.

Für viele Menschen ist der Kontext der heutigen Zeit das radikale Auseinanderfallen der Weltgesellschaft und die Abspaltung der Bessergestellten. Religion braucht eine Antwort für den Menschen, der aus nackter Verzweiflung heraus die Flucht nach Europa antritt und im Flüchtlingslager auf Lampedusa landet.

Für viele Menschen ist der Kontext ihres Lebens eine Welt des Krieges. Religion braucht auch eine Antwort für den Menschen, der seit er als Kindersoldat eingesetzt wird nichts anderes kennt als die Welt des Tötens und Getötet werden. Für viele Menschen ist der Kontext ihres Lebens die fortschreitenden Folgen des Klimawandels. Und deshalb braucht Religion auch eine Antwort für den Menschen, dessen Insel aufgrund des steigenden Meeresspiegels in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbar sein wird. Der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung sind also höchst relevante gesellschaftliche Fragen, an denen Religion und Theologie nicht vorbeikommen.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Sexualität. Matussek beschwert sich, dass es ein gesellschaftlich getragenes „elftes Gebot“ gäbe, das besage: „Dir soll alles, was rund um den Sex passiert, wurscht sein“. Damit bringt er sich wieder in die Rolle des Tabubrechers, der gegen dieses Gebot verstößt. Denn natürlich ist die Sexualität etwas, was den Kontext des Lebens vieler Menschen ausmacht. Und natürlich müssen Religion und Theologie deshalb auch Antworten auf Fragen zur Sexualität geben können. Die erste Überlegung an der Stelle ist eine Theologie, die sich zwar mit Sexualität auseinandersetzt, sich aber kein Urteil über „gute“ und „schlechte“ Sexualität herausnimmt. Wie gefährlich eine solche Position wäre, zeigt sich an der aktuellen Diskussion über Pädophilie. Ein christliches Verständnis von Sexualität bedarf also größerer Differenzierung.

Christliche Theologie begreift den Menschen als beziehungsreiches Wesen. Der Mensch steht in ständiger Beziehung zu sich selbst, zu seiner sozialen und natürlichen Umwelt und zu Gott. Unterbricht der Mensch diese Beziehungen schadet er sowohl sich selbst, als auch allen anderen Beziehungen. Der Theologe Eberhard Jüngel bringt es unter Einbeziehung Martin Bubers Philosophie vom Ich und Du folgendermaßen auf den Punkt: „So führt die rücksichtslose Selbstverwirklichung des Menschen dazu, daß für das Ich alles andere Sein nur noch als Mittel zum Zweck in Betracht kommt. Nun wird der andere Mensch, statt als Ebenbild Gottes um seiner selbst willen interessant zu sein, zum bloßen Mittel zur Durchsetzung meiner eigenen Interessen und Zwecke. Nun wird das Du zum Es.“

An dieser Stelle eröffnet sich ein Unterscheidungskriterium für ein theologisches Verständnis von Sexualität: Wann werden durch Sexualität Beziehungen durchbrochen? Wann macht Sexualität aus dem Du ein Es? Auf Anhieb fallen einem verschiedene Personen ein, die vom Du zum Es gemacht werden: Eine Frau, die vergewaltigt wird, ist wohl die schlimmste Form der sexuellen Ausbeutung. Oder eine Frau, die um überleben zu können ihren eigenen Körper verkauft. Aber auch eine Frau oder ein Mann, die/der von ihrer/seinem PartnerIn betrogen wird sollte genannt werden. In diesen sehr verschiedenen Fällen werden auf sehr unterschiedliche Art und Weise im theologischen Sinne Beziehungen zerstört. Wo allerdings eine solche Beziehung zerstört werden soll, wenn zwei sich liebende Frauen oder Männer miteinander schlafen, leuchtet nicht ein.

Das konservative Christentum, das Homosexualität als etwas sündiges ansieht, kommt aus einer anderen Denkrichtung: Es hält sich an einer mittelalterlichen Ordo-Vorstellung fest, nach der es eine von Gott festgesetzte Ordnung gibt und jeder Mensch, der diese Ordnung durchbricht, eine Sünde begeht. Fest verbunden ist diese Vorstellung mit einer Stände-Gesellschaft, die ebenfalls von Gott eingerichtet wurde und nicht hinterfragt werden darf. Beim besten Willen kann ich in der Botschaft von Jesus Christus, der alle weltliche Ordnung ständig hinterfragt und Gesetze neu auslegt, keine Anhaltspunkte für eine solche Weltvorstellung finden.

Überhaupt wirken die theologischen Argumente gegen Homosexualität sehr weit hergeholt. Verwiesen wird immer wieder auf einzelne Bibelstellen, in erster Linie im alten Testament. Diese Textauszüge lassen sich allerdings auch nur im sozialen Hintergrund ihrer Entstehung verstehen. Die alttestamentliche Gesellschaft war in den Familien organisiert. Die soziale Altersabsicherung der Gesellschaft wurde durch die Kinder garantiert. In einer Gesellschaft, deren gesamtes Sozialsystem darauf beruht, dass die Familien Kinder zeugen, ist Homosexualität ein Problem. Mit unserer heutigen Gesellschaft hat diese Vorstellung nichts mehr zu tun. Überhaupt gibt es wenig Gründe ausgerechnet am Homosexualitätsverbot des alten Testamentes festzuhalten. In der Erzelterngeschichte beispielsweise ist es selbstverständlich, dass ein Mann mehrere Frauen hat und Kinder, die mit Sklavinnen gezeugt werden, der jeweiligen Besitzerin der Sklavin angerechnet werden. Niemand käme heute auf die Idee diese Geschichte so zu interpretieren, dass diese Familienvorstellung eine von Gott gewollte Ordnung sei.

Was also bleibt ist ein medial recht stark wahrgenommener christlicher Konservativismus, der als letzte Festung der mittelalterlichen Ordo-Vorstellung die traditionelle Familie verteidigen will.

Wirft man einen Blick ins neue Testament und auf die Botschaft von Jesus Christus, die im Zentrum des christlichen Glaubens steht, fällt einem auf, dass die Familie als gesellschaftlicher Wert eine recht geringe Rolle spielt. Jesus selbst spricht wenig von der Familie, die es zu bewahren gibt. Er selbst hatte sogar ein eher schwieriges Verhältnis zu seiner eigenen Familie. Stattdessen steht der Ruf nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit im Kern der Botschaft. Daraus abzuleiten, dass die Familie als christlicher Wert keine Rolle mehr spielen sollte, wäre allerdings fahrlässig. Das Auseinanderbrechen vieler Familien stellt heute die Sozialpolitik vor große Aufgaben und darf daher auch theologisch nicht unbeantwortet bleiben. Allerdings gehört dazu auch das Anerkennen der Vielseitigkeit von Familienformen. Unverständlich bleibt daher auch das Argument, eine Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften führe zu einer Abwertung der „traditionellen“ Familie.

Anders als die medial stark wahrgenommene Kritik der evangelischen Landeskirchen in Baden-Württemberg an den Bildungsplänen der Landesregierung vermuten lässt, ist die evangelische Kirche in Deutschland in der Frage recht weit. In der kirchenintern viel diskutierten Orientierungshilfe des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ heißt es etwa: „Durch das biblische Zeugnis hindurch klingt als »Grundton« vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht. Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen.“

Das Bild von den Kirchen, die grundsätzlich gegen eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften stehen, stimmt also so gar nicht. Der Versuch von Matussek und Co sich als Verteidiger von Religions- und Meinungsfreiheit zu inszenieren, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als der Versuch intolerante Meinungen wieder mehrheitsfähig zu machen. Will sich das Christentum dazu nicht instrumentalisieren lassen, muss es deutlich widersprechen.

Lesetipp: Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ der EKD 

1 Kommentar zu „Nicht im Mittelalter hängen bleiben – Warum Homosexualität theologisch nichts schlechtes ist“

  1. Hi Micha,

    gelungener Text zu einem sehr umstrittenen, aber auch sehr verletzenden Thema. Ganz spontan fallen mir aus theologischer und soziologischer Perspektive noch viele weitere Punkte ein, die man dazu anbringen könnte. Das geht los bei der Diskussion um die Funktionen des Gesetzes, über die Ab- und Ausgrenzung durch ethische Forderungen, hin zu dem Gott, der sich Immanuel nennt und seine Menschen durch die Zeiten immer begleitet hat, und hört bei Implikationen zu hermeneutischer Differenz, epistemologischem Gottesstandpunkt und frommem Hochmut noch lange nicht auf.
    Danke für den schönen Gedankenanstoß.
    PS: Wenn man im pietistischen Minden-Ravensberger Land religiös sozialisiert ist und einen wachen Blick für die Welt behält, drängen sich diese Fragen geradezu auf.

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