Warum ich gegen eine große Koalition bin

Ein Einwurf von Micha Heitkamp

SPD München

Manchmal braucht es in der Politik Mut, um überraschende Entscheidungen zu treffen.

Im Februar 2012 fragte die Frankfurter Rundschau das sozialdemokratische Urgestein Egon Bahr, was er seiner Partei empfehle. Als Antwort kam keine Empfehlung zur deutschen Außenpolitik – Bahrs Spezialgebiet – oder sonst einem inhaltlichen Thema. Bahr gab eine strategische Antwort: „Sie sollte auf keinen Fall auf eine große Koalition setzen. Die nützt weder dem Land noch der Partei. 1969 ist der Einzug der NPD in den Bundestag nur verhindert worden durch die spannende, aufregende Perspektive, dass SPD und FDP zusammengehen könnten. Das hat die Wahlbeteiligung so hochgezogen, dass die Stimmen für die NPD nicht mehr ausreichten, um in den Bundestag zu kommen. Sie scheiterte knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Das wäre nie gelungen, wenn Union und SPD damals auf eine Fortsetzung der großen Koalition spekuliert hätten. Das zeigt: Die Stabilität unseres Staates hängt davon ab, dass die beiden großen Parteien sich in der Regierung abwechseln, unterstützt jeweils von kleineren Parteien.“

Heute steht die SPD vor der Frage: In eine große Koalition gehen und so die Möglichkeit erhalten aus der Regierung heraus eigene Ziele umzusetzen oder weiter in der Opposition schmoren?

Egon Bahr hat recht. Eine große Koalition würde dem Land schaden. Von den 630 Sitzen im neuen Bundestag, kämen Union und SPD zusammen auf 503. Dieser sehr starken Mehrheit stünde eine Opposition von 127 Abgeordneten gegenüber. Außerdem wäre es eine gemeinsame Regierung der beiden großen Richtungen der deutschen Politik, dem eher konservativen und dem eher linken Lager, der Opposition würde das Zugpferd fehlen. Die Folge wäre eine Veränderung der Parteienlandschaft. Egon Bahr bringt das Beispiel von 1969, als nach der ersten großen Koalition die NPD mit 4,3% nur knapp am Einzug in den Bundestag gescheitert ist. Heute ist die Ausgangslage etwas anders. Viele Menschen sind angesichts der Finanzkrise verunsichert. Die neue Partei „Alternative für Deutschland“ – ein gefährliches Gemisch aus Marktradikalismus und Rechtspopulismus – hat es auf Anhieb auf 4,7% geschafft. Einer solchen Partei, die bei vielen Menschen aus Protest gewählt wird, würde eine große Koalition weiteren Rückenwind geben. Das Argument, eigentlich gebe es in der deutschen Parteienlandschaft keine wirklichen Alternativen, würde bestätigt werden.

Es gibt aber auch gute Gründe aus sozialdemokratischer Sicht, nicht in die Regierung zu gehen. Die SPD hat nach den schwierigen Jahren unter Gerhard Schröder und der folgenden großen Koalition 2009 einen Parteierneuerungsprozess gestartet. Dass dieser Prozess auf dem richtigen Weg ist, erkennt man an dem guten Wahlprogramm zur Bundestagswahl. Allerdings ist der Prozess noch lange nicht abgeschlossen, wie man an dem schlechten Wahlergebnis erkennen kann. Fortsetzen lässt sich dieser Weg in einer großen Koalition kaum, in der Opposition schon.

Viele Medien, die die SPD jetzt in die Koalition drängen wollen, schreiben von der Verantwortung der Partei dem Land gegenüber. Die SPD hat aber in erster Linie eine Verantwortung vor denjenigen, die sie gewählt haben. Und gewählt wurde die SPD für ihre Forderungen. Eine Regierung, an der sich die SPD beteiligt, muss die zentralen Forderungen des Wahlkampfs umsetzten: Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, konsequente Eindämmung von prekärer Beschäftigung in Leih- und Zeitarbeit sowie Mini-Jobs, Abschaffung des Betreuungsgelds und Investition in den zusätzlichen Ausbau der Kinderbetreuung, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Einführung einer Vermögenssteuer, konsequentes Handeln gegen Rechts mit dem Vorantreiben des NPD-Verbotsverfahrens und der Abschaffung der Extremismusklausel. Zusätzlich gibt es Forderungen der Union, die die SPD niemals mittragen darf. Horst Seehofer will etwa keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem keine Autobahnmaut für Ausländer steht. Da kann es überhaupt keinen Zweifel geben: Kein/e SozialdemokratIn wird einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem es eine Autobahnmaut für Ausländer gibt. Die inhaltlichen Unterschiede sind also so groß, dass die Kompromisse – die bei dem großen Abstand zwischen Union und SPD im Zweifel eher in Richtung Union ausfallen würden – einer großen Koalition den WählerInnen und Basis-Mitgliedern, die geschlossen für das Wahlprogramm gekämpft haben, in den Rücken fallen würden.

Die meisten Medien schreiben, dass die SPD sich noch etwas ziert, es aber letztendlich sowieso auf eine große Koalition hinauslaufen wird. Jetzt ist also einer dieser Momente, in dem die Partei Mut braucht. Mut nämlich, sich einfach mal den Rufen der Medien und der Verlockung von Dienstwagen und Ministerien zu verweigern. Gewinnen würden sowohl die Partei als auch das Land.

2 Kommentare zu „Warum ich gegen eine große Koalition bin“

  1. VORWÄRTS ZUR ERNEUERUNG
    Zur Durchsetzung ihrer Interessen und Bedürfnisse benötigen die Menschen adäquate Handlungsinstrumente. Eine Beschränkung der Demokratie auf die Organisationsform des Staates verkennt den zentralen Stellenwert der Arbeit für die menschliche Identität und sanktioniert das Primat der Ökonomie. Demokratie darf also nicht am Werktor aufhören. Im Gegenteil, Aufgabe wird es sein, die solidarischen Konzepte zur Entwicklung einer Wirtschaftsdemokratie wieder ins Blickfeld zu nehmen, welche die hierarchische Organisationsform der Ökonomie aufzubrechen in der Lage sind und Fremdbestimmung aufheben.

    Darüber und über vieles mehr lohnt es sich nachzudenken, zu streiten und wieder an einem solidarischen Gesellschaftsentwurf zu arbeiten.

  2. Pingback: Jusos Minden-Lübbecke » Das nennt sich Demokratie, Herr Seehofer und Frau Klöckner!

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